BIKERS HIGH





Schnelle Räder, heiße Kurven: Wenn die Wiener High Society auf die Motorbikes steigt, zählt nur eines: Vollgas geben - und zwar in jeder Hinsicht. Leichte Mädchen und harte Drogen kommen da gerade recht.
Das bittere Erwachen folgt, als nach einer wilden Partynacht eine Tote gefunden wird. Hat die Runde um Szenewirt Novak und Starchirurg Finkhaus etwa Dreck am Stecken? Oder sind gar deren verwöhnte Sprösslinge, die ihren Übermut in gefährlichen Bike-Matches austoben, in die Sache verwickelt?
Der Motorradbulle Marko Gehmaier ermittelt.



1.

 

Er parkte am Straßenrand, rund hundert Meter vor der Einfahrt zur Vorstadtvilla, und stellte den Motor ab. Mit einem Blick in den Rückspiegel wollte er gerade die Autotür öffnen, als ein weißer Nobel-SUV von den britischen Inseln an seinem parkenden Cabrio vorbei preschte. Der SUV bog vor ihm links in die Einfahrt ein und verschwand hinter der aus Steinen gesetzten Einfriedung, über die gepflegte Sträucher und Bäume heraus ragten. Verdammt, ihr Mann, schoss es ihm durch den Kopf. Er überlegte, was er jetzt tun sollte und schaltete die Zündung wieder ein. Musik dudelte bassbetont aus seiner Stereoanlage, einer seiner aktuellen Lieblingshits begann. Er griff ans Lenkrad und stellte lauter. Soll ich warten oder fahren? Er wartete den Song ab. Warum ist der jetzt nach Hause gekommen? Er sollte doch einen Operationstermin in seiner Privatklinik haben.

Verwundert hörte Clarissa ein Motorgeräusch in der Auffahrt und sah aus dem Fenster. Tatsächlich, der schwere Wagen ihres Mannes rollte über die Zufahrt und hielt vor dem geschlossenen Garagentor. Ihr Puls explodierte. Hektisch schlüpfte sie aus dem hauchdünnen Negligee, stopfte es rasch in die Lade und zog den schlabbrigen Trainingsanzug über die schwarze Unterwäsche.

Als sie den Schlüssel an der Haustür hörte, war sie schon die Treppe hinunter gelaufen und stellte sich zur Tür des unteren Badezimmers.

»Hallo«, heuchelte sie. »Bist du heute schon zurück?«

»Nein, leider nicht. Ich hab nur die Brille vergessen, die ich zum Operieren unbedingt brauche.«

»Aber die hast du doch immer in der Klinik.«

»Ja, aber anscheinend habe ich sie gestern irrtümlich in meine Aktentasche gesteckt. Jedenfalls hab ich sie in der Klinik nicht gefunden. Und ich sollte schon im OP sein.«

Mit ein paar Schritten durchquerte er die Diele und verschwand in seinem Homeoffice, wo sie ihn am Schreibtisch herumkramen hörte.

»Ah, da ist sie ja«, hörte sie ihn sagen und schon war er wieder an der Haustür.

»Kommst du heute früher?«, hauchte sie, legte ihre Arme um ihn und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

»Wie immer, gegen sieben«, antwortete er hektisch und entzog sich ihrer Umarmung. »Sorry, muss los«, murmelte er noch und zog die Haustür hinter sich zu. Gleich darauf heulte der Motor bullig auf.

Buh, das war knapp, dachte sie und atmete tief durch. Ein Blick auf ihre rosé-goldfarbene Rolex zeigte ihr, dass Gabriel eigentlich jetzt da sein müsste. Ausnahmsweise war seine Unpünktlichkeit ein Glück.

Sie ging zum kleinen Barockschränkchen neben der Garderobe, wo sie ihr Handy abgelegt hatte. Sie scrollte die Kontakte bis zum Eintrag Gabi, wie sie seine Nummer unauffällig gespeichert hatte.

Gabriel hörte gerade den zweiten Song, als sein Handy vibrierend aufleuchtete. Gerade war der weiße SUV wieder an ihm vorbei geschossen. Seine Vorfreude auf eine Studienlektion der besonderen Art hob seine Stimmung.

»Hallo, ist alles okay?«, fragte er unverfänglich.

»Buuh, das war knapp. Er hatte seine Brille vergessen. Ich habe schon gedacht, du läufst ihm direkt in die Arme.« In ihrer Stimme lag eine leichte Ängstlichkeit.

»Ach was, don´t worry! Ich hab ihn noch kommen sehen, die Musik eingeschaltet und abgewartet«, antwortete er betont cool. »Soll ich jetzt rein kommen?«, fragte er, weil ihn ihre Stimmlage unbewusst verunsichert hatte, sonst wäre er nicht so zurückhaltend gewesen.

»Ich weiß nicht. Momentan ist mir überhaupt nicht danach. Ich glaube, ich muss erst wieder runter kommen«, antwortete sie ausweichend.

»Ich helfe dir, dich zu entspannen«, versuchte er sein Glück erneut.

»Lieber nicht. Ich bin jetzt überhaupt nicht in Stimmung. Verschieben wir es auf morgen, ja? Tut mir Leid.«

»Aber, wir könnten …«, doch sein neuer Versuch mit der bettelnden Stimme half ihm nicht.

»Heute lieber nicht. Sei bitte nicht böse. Bussi, bis morgen«, flötete sie und drückte auf den roten Button.

Scheiße, dachte sich Gabriel, die lässt mich doch glatt stehen. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Auf die Uni hatte er keine Lust. Er sah auf die Uhr. Außerdem war die Vorlesung schon fast vorbei und da machte es wenig Sinn, den Professor auch noch auf sich aufmerksam zu machen, indem man jetzt noch in den Hörsaal schlich.

Er beschloss in die Innenstadt zu fahren und sich, wie üblich, mit seinen Kommilitonen zur Vorlesungsnachbesprechung im Café Valentin gegenüber der Uni zu treffen.

 

Wie immer fand Gabriel in der überteuerten Tiefgarage bei der Uni im 1. Bezirk einen Parkplatz, wenn er auch in das dritte Untergeschoß hatte fahren müssen, was er nicht besonders schätzte. Aber immer noch besser, als mit den Proleten in der U-Bahn oder gar mit der Straßenbahn zu fahren, dachte er.

Er überquerte ohne Hast den gepflasterten Platz über der Tiefgarage und drückte die Tür zum Café auf. Die anderen von der Clique saßen schon am Tisch in der Ecke, den sie häufig belegten. Der Kellner brachte gerade ein Tablett mit drei Verlängerten und zwei Weißweinspritzern. Gabriel wusste sofort, für wen welches Getränk war. Wie immer waren die Cafés für die Mädels und die Spritzer für die Jungs. Wie immer schlossen sie die langweilige Vorlesung zum Bürgerlichen Recht mit dem ersten Alkohol des Tages ab.

Erwin sah auf und winkte Gabriel zu. Mit der Hand klopfte er leicht auf die Sitzbank neben sich, um ihm zu signalisieren, dass er sich zu ihm setzen sollte.

»Hi, wie war es? Hab ich was versäumt?«

»Ach nie, wie kommst du denn darauf? Der Alte hat sich wieder einmal über die Wichtigkeit des Bürgerlichen ausgelassen und ist darauf herum geritten, wie streng er die Prüfungen machen wird. Einfach öde. Und bei dir? Warum bist du nicht gekommen?«

Erwin wusste nichts von Gabriels Verhältnis zu einer verheirateten Frau und er wollte es ihm auch nicht auf die Nase binden.

Erwin und Gabriel kannten sich schon seit der Mittelschule und auch durch ihre Väter, die schon seit ewig, wie sie immer betonten, befreundet waren. Nach dem Schulabschluss hatte Erwin ein Informatikstudium angefangen, während es Gabriel voller Ambitionen mit Wirtschaft versucht hatte. Schon während der Studieneingangsphase hatten beide erkannt, dass die gewählten Studien nicht das Richtige für sie waren und so hatten sie gemeinsam mit dem Jurastudium begonnen. Mit Karl aus Eisenstadt und den drei Mädels, die auch aus dem Burgenland kamen, bildeten sie erst seit dem letzten Semester eine lose Clique, die eigentliche mehr eine Leidensgemeinschaft war. Das hatte sich so ergeben, weil Gabriel und Erwin ihrem Studienplan etwas nachhinkten.

Die Mädels waren sehr engagiert, nicht nur im Studium, sondern auch gegenüber Gabriel und Erwin. Sie meinten insgeheim, diese Jungs mit den coolen Autos und dem beeindruckenden familiären, vielleicht auch finanziellen Hintergrund, wären eine gute Alternative zum anstrengenden Unialltag. Gabriel interessierte sich nicht besonders für die drei, ließ aber Erwin seinen Spaß. Karl, der es hasste, wenn er Charly genannt wurde, war so etwas wie ein geduldetes Beiwerk. In dieser Runde fehlte noch Adrian, der aber tatsächlich krank war und mit einer Darmgrippe das Bett in der elterlichen Wohnung hüten musste.

»Ich habe einfach mal ausgepennt«, sagte Gabriel, »als der Wecker abging, hatte ich einfach keine Lust auf die öde Paragraphenleierei. Ist Adrian nicht gekommen? Ist er noch krank? Hast du was von ihm gehört.«

»Ich habe gestern mit ihm telefoniert. Da war er schon wieder einigermaßen gut drauf. Aber er will erst nächste Woche wieder auf die Uni gehen. Er wollte, dass wir ihn besuchen kommen. Hast du Lust?«

»Sicher nicht. Ich hoffe, er ist nächste Woche wieder so weit, nicht dass ich mir auch noch die ´Dünne´ von ihm hole«, spottete Gabriel.

»Ah geh, er hat gesagt, dass es nichts Ansteckendes ist.«

»Na, wenn das so ist, kannst ja du mal zu ihm gehen.«

Der Kellner stellte eine Melange für Gabriel auf die kleine, runde Tischplatte aus hellgrauem Granit. Gabriel wollte nach seiner morgendlichen ´kalten Dusche´ noch keinen Alkohol trinken. Als er sich zum Tisch wandte, um seine Tasse zu heben, traf sein Blick Karl, der sich mit den Mädchen unterhielt.

»Na, seid ihr noch am Aufarbeiten?«, wollte er wissen.

Katrin, Vanessa und Julia nickten wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig.

»Ich habe das auch sehr interessant gefunden, mit dem Familienrecht, Erbrecht und so«, erklärte Julia fast entschuldigend. »Das kann man immer brauchen.«

»Ich habe nichts zu erben«, wehrte Vanessa ab. »Aber wer weiß«, setzte sie kryptisch fort.

»Und was machen wir jetzt?«, unterbrach Erwin die Runde, bevor sie sich in pseudofachliche Diskussionen vertieften. »Hat jemand einen Vorschlag?«

»Also ich muss noch einiges für die Seminararbeit tun«, erklärte Vanessa abwehrend. »Zahlen bitte«, rief sie dem Kellner zu.

Die beiden anderen Mädchen und Karl schlossen sich an und ein paar Minuten später saßen Gabriel, und Erwin alleine am Tisch.

»Diese Streber«, sinnierte Erwin ihnen hinterher, »gehen mir auf die Nerven. Überhaupt Charly.«

Beide hegten eine gewisse Abneigung gegen Charly, der mit zwei der Mädchen schon in die Schule gegangen war und deshalb einen beinahe brüderlichen Kontakt zu ihnen pflegte.

»Ja, der wird wie sein Alter ein braver Beamter und sitzt dann bis zu seiner Pension hinter einem verstaubten Schreibtisch und stapelt die Akten von links nach rechts und dann von rechts nach links.«

»Du weißt schon, dass die da jetzt auch Computer haben«, erklärte Erwin mit ernstem Gesicht. »Da musst du nur mehr den richtigen Button anklicken: einen für Von-links-nach-rechts, einen für Von-rechts-nach-links.«

Gabriel lachte. »Ja, ich glaub, dass schafft er. Was anderes. Hast du dein Motorrad schon aus dem Winterschlaf geholt?«

»Nein, bis jetzt war es mir zu kalt. Aber kommendes Wochenende werde ich es mal herausholen und zum Service stellen. Und du?«, fragte Erwin.

»Meines ist schon startklar. Mein Dad ist selber schon wild aufs Motorradfahren gewesen und so haben wir die Bikes letzten Sonntag vorbereitet. Er wollte auch, dass ich gleich eine Runde mit ihm fahre, wegen einfahren und so. Also sind wir runter zum Neusiedler See und übers Hinterland zurück gefahren. Ich sag´ dir, mein Alter hat´s drauf. Der fährt mit seinem Chopper so, dass ich mit meinem Naked Bike ordentlich zu tun habe.« In seiner Stimme lag Respekt. Sein Vater, ein wohlbestallter Besitzer einer großen Communications- und Public Relations-Agentur war für seine Motorradleidenschaft stadtbekannt.

»Wow, super. Mein Alter hat noch keine Lust gehabt. Ich bin aber auch schon ganz heiß aufs Biken. Überhaupt, wo es jetzt schon so schön warm ist«, meinte Erwin.

»Ja, bei uns geht es schon. In den Bergen kannst du aber noch Ski fahren.«

»Du, wir könnten ja eine kleine Italientour einplanen, für die Osterwoche oder so, was meinst du? Ich hätte auch wieder Lust auf ein bisschen Party dort unten.«

Gabriel wusste, was Erwin meinte. Er hatte auch schon von der neuen Modedroge gehört, von der die Studenten nach ihrem Auslandssemester an den italienischen Unis schwärmten. Aber er hatte sie noch nie probiert. Ab und zu einen Joint, sogar sein Vater hatte zugegeben, dass das kein Problem sei, ohne jedoch einzugestehen, dass er selbst ausreichend Erfahrung damit hatte. Aber diese synthetischen Dinger waren ihm nicht geheuer. Sein Dad lehnte diese sogar strikt ab.

Einige Minuten vergingen.

»Also, was ist, bist du dabei?«, hakte Erwin nach.

»Na klar«, bestätigte Gabriel. »Wohin willst du? Schon was überlegt?«

»Also um die Zeit sollten wir runter in die Toskana, nach Siena und Florenz. Ich kenne da ein paar Leute. Da können wir auch pennen.«

»Toskana«, wiederholte Gabriel, »das ist schon recht weit, oder?«

»Ah geh! Bis zur Grenze in Kärnten, fahren wir über die A2, dann die alte Kanaltalstraße. Das ist eine so geile Strecke, die langgezogenen Kurven, klasse Asphalt, ein Traum. Oder, wenn das Wetter super ist, können wir auch über den Nassfeldpass, den Plöckenpass oder so, fahren. Unten, im Flachland dann über die Autobahn bis Bologna, das Hinterland gibt da eh nix her, und ab in die Toskana-Hügel.«

»Sounds great«, bestätigte Gabriel. »Wie lange willst du unterwegs sein?«

»Die Osterwoche würde sich anbieten«, meinte Erwin und scrollte auf seinem Smartphone über den Kalender der nächsten Wochen. Das ist eh schon in rund drei Wochen. Kannst du da?«

»Hab noch nichts anderes vor. Ich halt mir die Osterwoche jedenfalls frei. Hast du Kohle?«

 

2.

 

Am Abend desselben Tages stand ein Sektkühler mit einer halbvollen Flasche Prosecco di Valdobbiadene auf dem Ecktisch in der Piano Rosso-Bar in der schicken Seilergasse im 1. Bezirk. Die um den Tisch sitzende Herrenrunde war an diesem fortgeschrittenen Abend bester Laune. Der Wirt saß selbst am Tisch und sorgte mit einem periodischen Handzeichen zum Kellner für reichlich Nachschub des perlenden Tröpfchens.

Einer der Sitzenden stand auf, um den von den Toiletten zurückkehrenden Primar Dr. Finkhaus zu seinem Platz vorbei zu lassen.

»Ihr seht doch, wie uns die Politik verarscht. Sie beschließt irgendwelche Scheingesetze zur Begrenzung der Wahlkampfkosten. Und nach einer Schrecksekunde von fast zwei Jahren attestiert der Rechnungshof, dass die festgelegten Regelungen überhaupt nicht überprüfbar sind«, hörte Finkhaus, während er sich auf seinen Platz zwängte.

»Spaßig ist ja noch dazu, dass dieses Gesetz ausschließlich gemacht wurde, weil die verkrusteten Altparteien befürchtet haben, von den neuen Parteien, hinter denen sehr finanzkräftige Leute stehen, mit gekaufter Medienpräsenz niedergewalzt zu werden.«

»Ist doch immer dasselbe. Ich ärgere mich noch heute, wenn ich daran denke, wie sich die Politiker, die sonst keine Gelegenheit auslassen, die Gegner zu beschimpfen, bei der Erhöhung der Parteienfinanzierung alle schön einig waren.«

»Und dann reden alle von Reformen und vom notwendigen Sparen. Wir sollen sparen, damit die mehr zu verjubeln haben. Um uns Wähler über ihre tollen Ideen mit leeren Worten zu informieren, werden Millionen an Steuergeld für Parteienfinanzierungen ausgegeben. Aber reformiert oder gespart wird letztlich nirgends.«

»Ja, wir, die ordentlich Steuern zahlen, sind immer die Deppen der Nation. Die großen, internationalen Firmen schieben die Gewinne solange von einem Land zum anderen, bis nichts mehr zu versteuern übrig bleibt. Dabei wäre dort so viel Geld zu holen, dass wir alle weniger Steuern zahlen müssten«, jammerte Finkhaus.

»Dazu müssten sich die Staatsvertreter aller Herren Länder halt nicht nur im Scheinwerferlicht der internationalen Bühne einig sein. Aber es ist leider so, dass die Politiker bei den Verhandlungen in Brüssel schärferen Regelungen zustimmen, aber dann im eigenen Land die gewinnträchtigen Unternehmen mit Steuerzuckerln anlocken, wie die Blüten die Bienen«, versuchte Rechtsanwalt Netnicky eine sachliche Diskussion aufzunehmen.

»Ich stimme dir schon zu«, antwortete Finkhaus dem Anwalt. »Aber was hilft mir das? Ich glaube, je mehr Steuern wir zahlen, umso mehr Geld schmeißen die da oben raus. Wo du hinschaust wird gejammert, dass es zu wenig Geld gibt. Gleichzeitig werden durch Dummheit oder Schlamperei Milliarden für marode Banken und andere Skandale verbrannt. Wenn wir so arbeiten würden, bliebe gar nichts über, um Steuern zu zahlen.«

»Ich versuche halt, meine Steuern zu optimieren«, deutete Novak an. Der Wiener Szenewirt herrschte über mehrere Lokale in Wien. »Musst dir halt einen fähigen Steuerberater suchen. Und das heißt für mich, einen, der für dich bis an die Grenze des Machbaren geht und nicht versucht, selber möglichst keine Reibereien mit der Finanz zu bekommen.«

Finkhaus hielt das für eine kleine Angeberei und wollte Novak herausfordern. »Und welche Tricks kannst du mir verraten?«

»Na, wenn das so einfach wäre, würde die Finanz das auch schon wissen. Außerdem ist meine Branche ein bisschen anders als deine. Wenn du alles über die Krankenkassen abrechnest, bist du freilich transparent wie ein Schaufenster«, provozierte Novak.

Finkhaus schluckte unmerklich. Seine Patienten kamen in den seltensten Fällen mit einer Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse. Da war die Kostenübernahme durch irgendwelche Etablissementbetreiber oder Liebhaber schon eher zutreffend. Er nahm sich vor, wieder einmal genauer über das Thema nachzudenken. Er wähnte sich zwar schon recht professionell, was den Umgang mit Schwarzgeld aus den meist bar bezahlten operativen Eingriffen zur Steigerung mancher Schönheit belangte, war aber trotzdem der Meinung, immer noch viel zu viel an das Finanzministerium zu überweisen.

»Also, wenn du einen Steuerprofi kennst, vorzugsweise mit Know how in meiner Branche, wäre ich dir sehr dankbar.«

Zicula hatte den beiden zugehört und hielt nun den Moment für gekommen, sich einzubringen. »Also, ihr wisst ja, dass ich mich mit allen möglichen Anlageformen befasse.« Den anderen kam kein Kommentar aus. Zu bekannt waren Timo Ziculas Anlageempfehlungen. Die eine oder andere der meist konventionellen Veranlagungen war gut aufgegangen, sonst wäre er wohl kaum mehr in der Runde willkommen gewesen. Andererseits hatte er auch noch kein Wunder vollbracht. »Ich kooperiere jetzt mit Partnern in der Schweiz und in Liechtenstein. Dadurch ergeben sich ein paar gute neue Möglichkeiten. Natürlich ganz legal«, betonte er. Die Anwesenden schwiegen. Er konnte in ihren Gesichtern nicht erkennen, ob das gut oder schlecht war.

»Das könnte schon interessant sein«, nahm Netnicky den Faden wieder auf. »Ich habe da einen Klienten, der vielleicht ein paar Tipps brauchen könnte. Ich komme da auf dich zu.«

Zicula war unsicher, was das bedeutete, weil diese Floskel auch gerne als Hinhaltetaktik gebraucht wurde. Er beschloss abzuwarten. Er konnte ja bei nächster Gelegenheit nachfragen. Außerdem wusste er, dass wirklich Interessierte ihn dann anriefen, um einen Vieraugentermin zu vereinbaren.

»Was läuft sonst?«, fragte Novak in die Runde.

Die gesenkten Blicke verrieten dem erfahrenen Gastronomen eine gewisse Müdigkeit bei seinen Gästen.

»Was haltet ihr davon, wenn wir vor Ostern eine kleine Ausfahrt nach Kärnten machen?«

»Ich hätte schon Lust«, antworte Finkhaus als erster. »Eine kleine Tour zum Einfahren und Eingewöhnen wäre ganz fein.«

»Ich bin dabei«, stimmte Netnicky zu. »Hast du schon einen Terminvorschlag?«

»Wenn es sich ausgeht, bin ich auch gerne dabei«, ergänzte Zicula. »Für mich wäre das Palmwochenende ideal oder das Wochenende nach dem Ostermontag«, übernahm er die Terminvorschläge.

»Das passt beides«, stimmte der Anwalt zu. »Nur das Osterwochenende kann ich nicht.« Das klang wie eine geschäftliche Verhinderung, aber allen war klar und recht, dass die Osterfeiertage den Familien vorbehalten waren.

»Ich würde gerne das Wochenende nach Ostern fixieren«, schlug Novak vor. »Ich organisiere dann die Location und alles andere, wie immer«, schmunzelte er.

Die anderen wussten nur zu gut, was er meinte. Diese gemeinsamen Biketouren waren immer auch ein willkommener Anlass, mal ohne Ehefrau und Familie abzufeiern und ordentlich Party zu machen. Novak würde sich nicht nur um die Location und Zimmer für alle kümmern, sondern auch um die Verpflegung für Körper und Geist, wie er es einmal bezeichnet hatte. Letztlich lag die Betonung dann meist eindeutig beim Körper im Sinne der Kulinarik und der sozialen und körperlichen Kontakte.

»Also drei Tage, zwei Nächtigungen und auch sonst wie immer«, wiederholte er nochmals.

»Ja, klar! Passt gut!«, stimmte Netnicky zu und alle anderen nickten ebenfalls. »Wer informiert Josi?«

Franz-Josef Steinberger, der Besitzer einer Kommunikations- und PR-Agentur, den alle Josi nannten, fehlte an diesem Abend, weil er geschäftlich in London weilte.

»Das mache ich dann schon«, erklärte Novak. »Der kommt sicher auf einen Prosecco vorbei, wenn er wieder in der Stadt ist.«

Finkhaus sah auf die Uhr, die schon gleich 22:20 anzeigte.

»Nehmen wir noch einen schnellen Absacker? Ich muss dann langsam los.«

Eine glatte Täuschung. Wenn er langsam los sagte, saß er meist schon auf Nadeln.

 

Noch während er mit seinem Stadtcabrio aus der Tiefgarage bei der Oper fuhr, dachte Netnicky über die Hinweise Ziculas nach, bereute aber schon, dass er überhaupt etwas angedeutet hatte. Tatsächlich hatte ihn ein Klient gebeten, sich etwas zu überlegen. Aus den Fragen, die der Klient über Veranlagungsmöglichkeiten in der Schweiz stellte, lag nahe, dass es sich um Geld aus einer Transaktion handeln könnte, die nicht unbedingt dem Finanzministerium gemeldet werden sollte. Auf seine Nachfrage, wo sich das zu veranlagende Geld derzeit befände, hatte der Unternehmer aus Wien, der häufig im ehemaligen Jugoslawien unterwegs war, nur Südosteuropa gesagt. Der Anwalt war noch unsicher, ob er sich auf so etwas überhaupt einlassen sollte. Schließlich war er auf Eheverträge und Scheidungen spezialisiert. Aber der Unternehmer war schon lange sein Klient. Bei zwei Eheverträgen und einer Scheidung hatte Netnicky ihn bereits erfolgreich betreut. Außerdem ging er davon aus, dass sich niemand die Mühe machte würde, wenn er nur ein paar hunderttausend Euros veranlagen wollte. Damit erhoffte er sich ein nettes Honorar, das auch gleich in der Schweiz bleiben konnte. In beschwingter Stimmung fuhr er heimwärts.

 

Im weißen SUV grübelte Finkhaus ebenfalls über den Hinweis nach. Zum einen war da das Schwarzgeld, das er in bar in seiner Vorstadtvilla versteckt hatte und zum anderen die Möglichkeit, legal Steuern zu sparen. Das Bargeld schien ihm das dringendere Problem zu sein. Einerseits wegen seiner Frau Clarissa, die nichts zu wissen brauchte und schon gar nicht zufällig über das Geld stolpern sollte. Andererseits befürchtete er Einbrüche oder Feuer, die seine stillen Reserven schlagartig vernichten könnten. Und er konnte ja kaum eine Versicherung dafür abschließen. Ihm fiel ein, dass erst vor einigen Wochen bei einem Nachbarn, zwei Häuser weiter, eingebrochen worden war. Die Leute waren kaum ein paar Tage weg gewesen, als Einbrecher von der Gartenseite über die Terrasse kamen und ohne größere Probleme die Fensterläden und das Fenster mit einem simplen Schraubenzieher aufgebrochen hatten. Und das zur Mittagszeit. Der Schmuck der Nachbarin, der schön geordnet in der bei den Damen so beliebten Schmuckschatulle gesammelt war, war weg und ein bisschen Bargeld ebenfalls. Der oder die Täter hatten sich gar nicht die Mühe gemacht, die wertvolle Unterhaltungselektronik hinauszutragen oder das neue Motorrad aus der Garage zu klauen, sondern sich nur auf Schmuck und Geld konzentriert. Besonders beunruhigend fand Finkhaus, dass sie ziemlich spürsicher das versteckte Bargeld gefunden hatten.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell das gegangen sein muss«, hatte ihm der Nachbar erzählt. »Die Polizei geht von ein paar Minuten aus. Und die waren bestens vorbereitet. Sie haben das Haus offenbar genau beobachtet und wussten, wann wir weg sind. Da hat es auch nicht geholfen, dass die Putzfrau so nett war, jeden Tag die Post herauszunehmen und die Blumen zu gießen. Sie ist regelmäßig vormittags zur gleichen Zeit gekommen. Die Einbrecher haben gemerkt, dass es sonst keine Bewegung gab.

Verstehst du, was das für ein unangenehmes Gefühl ist, wenn du weißt, dass die Verbrecher in ein paar Minuten bei dir im Schlafzimmer stehen können? Meine Frau wäre mir keine Nacht mehr alleine zu Hause geblieben, und ich muss doch immer wieder geschäftlich verreisen.«

Die Nachbarn hatten sich danach sofort eine Alarmanlage einbauen lassen.

Auch Werner Finkhaus überlegte den Einbau einer Alarmanlage. Das linderte jedoch seine Sorge um sein Bargeld nicht.